Société Anonyme

Stefan Kaegi von Rimini Protokoll gibt denjenigen Stimmen Raum, die sonst keine haben: In völliger Dunkelheit lauscht das Publikum den persönlichen Geschichten von Menschen, die nur im Schutz der Anonymität wagen, frei zu sprechen.

Auf der Theaterbühne sind Stühle in Kreisen angeordnet. Die Zuschauer*innen werden von der Performerin Gül Pridat im Foyer begrüßt und in den Saal begleitet, bevor sie in völlige Dunkelheit getaucht werden. Als blinde Musikerin kennt sie die Dunkelheit. Das Publikum erlebt, dass man besser zuhören kann, wenn man nichts sieht. Das Publikum lauscht, die Mitglieder der Société Anonyme erzählen, im Schutz der Finsternis. Diese Art des Sprechens, ohne ein Gesicht mit dem Gesagten zu verbinden, verleiht den Erzählenden Mut, Intimes preiszugeben. In der Anonymität sind sie vor gesellschaftlicher Verurteilung und dem Risiko der Enthüllung geschützt. Sie müssen sich nicht für ihre Geschichte schämen, brauchen keine Angst vor den Konsequenzen ihrer Worte zu haben. Ein Hafenarbeiter ohne Papiere erklärt, wie er es schafft, unentdeckt zu bleiben. Eine Juristin erzählt von ihrer Schizophrenie, die geheim bleiben muss, wenn sie ihren Job nicht verlieren will. Ein Steuerberater berichtet von den Abgründen der Bürokratie und gibt ganz nebenbei Steuerspartipps am Rande der Legalität. Die Zuschauer*innen lernen Lebensentwürfe kennen, mit denen wir im Alltag nicht in Kontakt kommen; ganze Gesellschaften, die parallel zu unserer existieren. Das Publikum hört Stimmen, die zerbrechlich, aufrichtig, manchmal auch kampfeslustig oder defensiv sind. Hier und da kann der Drang entstehen, in die Geschichte einzuhaken, um besser zu verstehen, die Person im Dunkeln besser kennenzulernen. Ein Theaterereignis, das für sehende wie blinde Menschen gleichermaßen eine packende, ungewöhnliche, kollektive Erfahrung bietet.

Nach jeder Vorstellung gibt es im Foyer Zeit für einen informellen Austausch über die Eindrücke und Erfahrungen des Abends. Am 07.06. findet nach der Vorstellung zusätzlich ein moderierter Talk statt.

Die Uraufführung des Stücks von Stefan Kaegi fand 2023 statt. Er ist Mitglied des Theaterkollektivs Rimini Protokoll, das in den 2000er Jahren gegründet wurde. Kaegi und seine Kolleg*innen sind seit 2008 bereits mehrmals beim Festival Perspectives zu Gast gewesen – 2008 mit Cargo Sofia, 2017 mit Hausbesuch Europa, 2021 mit The Walks. Rimini Protokoll ist dafür bekannt, „Spezialist*innen des Alltags“ auf die Bühne einzuladen, Amateurschauspieler*innen, die durch ihre Originalität und Authentizität eine neue Sichtweise der Wirklichkeit ermöglichen.

Theater am Ring

Kaiser-Friedrich-Ring 26
D-66740 Saarlouis

Website:
www.saarlouis.de

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Mit Gül Pridat (Live-Musik) und anonymen Stimmen
Konzept, Regie Stefan Kaegi

Musik Arvild J. Baud
Raum Aljoscha Begrich
Dramaturgie Aljoscha Begrich, Ludwig Haugk

Begleitung, Bühnen-Assistenz Paula Doerksen, Martina Vermaaten
Mitarbeit Recherche Morín Alejandra González Mena

Technische Leitung, Licht Design Touring Joscha Eckert

Sound Operator Touring Fabian Tombers

Produktionsleitung Touring Juliane Männel, Lara Fischer

Französische Übersetzung Uli Menke, Juliette Ronceray

Audiodeskription in französischer Sprache Juliette Ronceray, Blaise Tesson

Produktion Deutsches Schauspielhaus Hamburg in Kooperation mit Rimini Protokoll / Residenz Schauspiel Leipzig