Zu unserer großen Freude kehrt das Raoul collectif zurück, mit seinem neuen Stück aus dem Jahr 2020, das mitten in der Pandemiezeit entstand. Nach Le Signal du Promeneur (2014) und Rumeur et petits jours (2017), mit denen sie zuvor das PERSPECTIVES-Publikum erobert hatten, finden wir in Une cérémonie den ganzen Charme und die volle Kraft dieses unglaublichen belgischen Kollektivs: Eine leidenschaftliche, musikalische Ode an das Zusammensein, die dem Trübsinn eine lange Nase zeigt.
Neun Menschen treffen sich in der Absicht, etwas zu feiern. Nur was? Und vor allem, wie? Auf der Bühne: Dutzende Gartenstühle, die den improvisierten Tribunen als Podium dienen. Weiter hinten eine Bartheke, unverzichtbares Accessoire für Feierlichkeiten, genau richtig für die mehr oder minder inspirierten Ausschweifungen der Protagonisten. Über ihren Köpfen schwebt ein mysteriöses Riesen-Holzmobile in Form eines Pterodaktylus. Fügen wir dem Ganzen noch einige Musikinstrumente für die zahlreichen wild anmutenden Interludien hinzu, et voilà: Die farbenprächtige Zeremonie kann beginnen!
Kauzige Exkurse wechseln sich mit lyrischen Ergüssen ab, jede*r darf nach Gusto einen Toast ausbringen: mal träumerisch, mal aufrührerisch. Neunzig Minuten lang wird philosophiert, angestoßen, umhergezwitschert, auch gesungen, vor allem gezürnt: gegen eine autoritäre, egozentrische Gesellschaft. Jedes Mittel ist recht, um ein Loblied auf die Gruppe und die Solidarität anzustimmen.
Die fröhliche Gesellschaft lässt an Figuren wie Don Quijote denken, der sich gegen einen nicht fassbaren Feind zur Wehr setzt, an Heinrich V. oder auch an Antigone, die mit ihrem Kampf gegen Willkürregeln aktueller ist denn je. Hier und da tauchen Kreaturen wie Trugbilder auf, und machen manche Sequenz zur urkomischen philosophischen Exegese. Mit umwerfendem Humor und poetischer Inbrunst treten die neun Männer und eine Frau für zivilen Ungehorsam ein und stellen Fragen nach der Zukunft der Kultur in unserer Gesellschaft. Die jazzigen und lateinamerikanischen Rhythmen und exaltierten Chorgesänge unterstreichen die pointierten Äußerungen, und ihre Tiraden finden jede ihren Widerhall in uns und in der Aktualität.
Die Mitglieder des Raoul collectif (Romain David, Jérôme de Falloise, David Murgia, Benoît Piret und Jean-Baptiste Szézot) erarbeiten ihre Stücke stets gemeinsam, von der Recherche bis zur Inszenierung, vom Bühnenbild bis zur Licht- und Tonregie, die Texte nicht zu vergessen! Von diesem ganz besonderen Schaffensprozess strahlt eine ansteckende Energie aus, eine Mischung aus Strenge und Chaos, ein bekennender milder Wahnwitz, heilsam und einzigartig herzerfrischend. Ein absolutes Muss!